Regiment Asow
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Das Regiment „Asow“, das den Krieg gegen Russland in der Ostukraine nicht missen will, hat ein Problem mit den nationalsozialistischen Visionen seiner „Führer“. Die deutsche Regierung, die jahrelang nichts gegen deren Verbreitung tat, liefert jetzt sogar Waffen an einen Staat, der wesentlich von dem rechtsextremen Sonderkommando abhängt.
„Die aktuellen Verhandlungen mit Putin und Lukaschenko sind eine schlechte Geschichte für die Ukraine. Die Russen sind schockiert über die Stärke unseres Widerstands. […] Jetzt gibt es einen Volkskrieg, wie er alle paar Jahrhunderte stattfindet. Die Ukraine hat ganz Russland übernommen. Dies ist ein idealer Zeitpunkt für die Weißrussen, das Lukaschenko-Regime zu stürzen […], und für Moldawien, um die Transnistrien-Frage zu lösen“1,
schrieb Andrij Biletzkij am 27. Februar 2022 in seinem Telegram-Kanal, als zum ersten Mal seit Beginn der russischen Offensive gen Westen zaghafte Versuche von Diplomatie zwischen den Kriegsparteien keimten. Biletzkij will den Frieden nicht, wollte ihn nie, eindeutig. Tags drauf eilte er einen Mobilisierungsaufruf des Regiments „Asow“ – wo man neben „ausschließlich erfahrenen Kämpfern“ auch „Frauen als Küchenhilfen“ suchte2 – sowie seither viele mittelprächtig ekelerregende Fotografien blutüberströmter Leichen, offenbar russischer Soldaten, die dem Regiment Asow zum Opfer gefallen sind.3
Idee der Nation
Während auch die deutschen Medien seit dem 24. Februar wieder das Narrativ der „heldenhaften Verteidigung“ bemühen, worin sich solche Propagandapostings perfekt einfügen, darf man nicht vergessen, dass ihrem Urheber der Krieg keinesfalls aufgezwungen wurde. Vielmehr steuerte Biletzkij auch in der Vergangenheit konsequent gegen, sobald die Diskussion über den Donbass-Konflikt auch nur sanft in Richtung Friedfertigkeit zu entgleiten drohte. „Viele diskutieren nun, wie wir uns den Donbass zurückholen können“, sagte er in einer Videoansprache im Januar 2021, also ein Jahr zuvor,
„Brauchen wir ihn zurück? Manche schlagen einen friedlichen Weg vor, manche schlagen vor, es mit der Hilfe westlicher Länder zu machen, irgendwer schlug vor, den Separatisten eine partielle Amnestie anzubieten. Es gibt da viele Optionen, viele Wege. Es scheint mir, dass die Operationen im Frontabschnitt Svetlodarsk klar gezeigt haben, dass der schnellste und effektivste Weg, den Donbass zurückzuholen, der des Sieges ist. Asow verlor vier Kameraden, vier unserer Freunde, vier unserer Brüder, und tötete in derselben Zeit 30 Militante, nahm einen gefangen […]. Es gibt keine Streitmacht, die eine Verlustrate von 8 zu 1 verkraften könnte. Wenn alle ukrainischen Einheiten dieselbe Effizienz zeigten wie Asow, könnte dieser Krieg schon lange vorbei sein.“4
5 Aus dem patriotischen Rebellen, der das Tragen sozialistischer Abzeichen verweigerte und mit zwölf Jahren eine ukrainische Flagge auf dem Dach seiner Schule hisste, wurde mit der Zeit ein Sozial-Nationalist. Wer darin eine verdächtige Ähnlichkeit zu „Nationalsozialist“ vermutet, liegt goldrichtig. Seine erste, „richtige“ politische Tätigkeit absolvierte er während seines Geschichtsstudiums als Straßenkämpfer in der paramilitärischen Organisation „Trysub“, deren Chef ein gewisser Dimitro Jarosch war. Man sah sich in der Tradition der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), des erklärten Antisemiten Stepan Bandera und der mit diesem verbundenen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN).6 Trysub überging die negativen Aspekte dieser Idolwahl geflissentlich, als da beispielsweise die bizarren Massenmorde an polnischen Zivilisten durch die UPA in Wolhynien 19437 wären, und schrieb von sich: Der notorische Kämpfer Biletzkij wurde 1979 im nordostukrainischen Charkiw geboren, der zweitgrößten Stadt des Landes. Daran, wie er ursprünglich zu dem wurde, was er heute ist, kann er sich nach eigener Aussage nicht erinnern. Aber er weiß, dass das in der Sowjetunion verbotene Buch „Geschichte der Ukraine“ für Kinder von Anton Lototsky, das er von seinem Vater geschenkt bekam, einen prägenden Einfluss auf ihn hatte.
„Trysub steht in der Tradition der UVO-OUN-UPA, die sich im kompromisslosen Kampf um die Ukraine entschieden gegen die drei brutalsten Besatzer [Polen, Deutschland, Sowjetunion – Anm. d. Verf.] und die beiden mächtigsten Imperien stellten, die versuchten, die Ukrainer als Nation zu zerstören und die Entwicklung ihrer Staatlichkeit zu unterbinden. Nationalismus war, ist und wird die Grundlage unserer Organisation, unserer Aktivitäten sein. Die Bekräftigung der ukrainischen Nationalidee in der Gesellschaft ist keine Laune nationalistischer Fanatiker, sondern eine lebenswichtige Notwendigkeit.“8
Eine solch selektive Wahrnehmung verstört umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass Biletzkijs Abschlussarbeit sich mit der UPA befasste, für die er ein Diplom bekam. Sowohl dieser wunderlichen Geschichtswahrnehmung als auch dem Nationalismus blieb er verbunden, als er 2005 mit seiner ersten eigenen Gründung den Übergang von der Grauzone hin zum eindeutigen Neonazi komplettierte. „Patriot der Ukraine“, eine Organisation, die er in seiner Heimatstadt Charkiw mit ihrem Chefideologen Oleh Odnoroschenko führte, überraschte mit der Deutlichkeit, mit der sie ihren Rassismus vertrat:
„Alle fremden ethnisch-rassischen Gruppen werden eingeschränkt und kontrolliert und anschließend in ihre historische Heimat deportiert. Wir ukrainischen Sozial-Nationalisten betrachten die sogenannten ‚menschlichen Rassen‘ als separate biologische Spezies und betrachten nur den ‚weißen europäischen Menschen‘ als intelligent im biologischen Sinne.“9
Das wurde auch durch das Symbol der Patriot der Ukraine unterstrichen, das gerade aus deutscher Sicht und mit Blick auf die späteren Entwicklungen hochinteressant ist. Grundsätzlich handelte es sich dabei um eine sog. „Wolfsangel“. Also um jenes Symbol, das die „Stammdivision“ der Waffen-SS, die SS-Verfügungsdivision, und im Anschluss die 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“10 verwendeten. Eine stark veränderte Form wurde außerdem zum Abzeichen niederländischer SS-Freiwilliger11, und nach dem Krieg wurde die Wolfsangel in Deutschland und in Österreich verboten. Offiziell hatten die Insignien der Patriot der Ukraine, die quasi-identisch und ergänzt um zwei ruthenische Löwen (der wiederum auch Wappentier der 14. Waffen-Grenadier-Division der SS12 war) auch von der Sozial-Nationalen Versammlung, einer weiteren rechtsradikalen Organisation, verwendet wurden, mit dem NS-Gegenstück aber nichts zu tun.
13 Diese sprachwissenschaftlich korrekte Erklärung14 lädt nicht minder zum Verziehen der Augenbrauen ein, aber „Ідея Nації“ reicht als oberflächliches Alibi aus, weil den meisten Leuten das Verhalten Biletskijs und seiner Anhänger vor 2014 überhaupt nicht bekannt ist. Die Ausrede der ukrainischen „Sozial-Nationalisten“ war folgende: Die Wolfsangel sei keine Wolfsangel, sondern eine Kombination der Buchstaben „I“ und „N“, was für „Idee der Nation“ stehe. Dass das „N“ nicht, wie sonst im kyrillischen üblich, als „H“ ausgeschrieben wird, sei damit zu erklären, dass das ukrainische N quasi „ganz früher mal“ dem lateinischen entsprochen hätte, bis Zar Peter I. 1710 mit einer Sprachreform die Sprache verhunzt und die Schreibweise verändert hätte.
„So rühmen sich die ‚Patrioten‘ damit, dass sie jedes Jahr einen ‚Patriotenmarsch‘ abhalten - einen so genannten Anti-Migranten-Umzug. Das Besondere daran ist, dass sie im Gegensatz zu anderen Organisationen nicht nur gegen illegale Einwanderer, sondern überhaupt gegen die Einwanderung in die Ukraine sind“, schrieb die Charkiwer Gruppe für den Schutz von Menschenrechten (KhPG) 2008, „Drei Jahre in Folge hat die Organisation mit ihren Fackelzüge rund um die Studentencampus in Charkiw, Kiew und Czernowitz dadurch Berühmtheit erlangt, die ausländischen Studenten, die in der Ukraine studieren, in Angst und Schrecken zu versetzen.“15
Untermenschen
Die Stimmung der Charkiwer Behörden gegenüber den Nationalisten war genauso mies wie umgekehrt. „Antiukrainisches Regime“ nannte man die Regierung Janukowitsch, und nahm in der von Korruption geplagten unabhängigen Ukraine die Probleme, die man sah, selbst in die Hand. Biletskij „befehligte persönlich praktisch alle Gruppen von Kämpfern, die Operationen zur Ermittlung und Zerschlagung von Drogenumschlagplätzen, zur Festnahme illegaler Migranten usw. durchführten“16, wobei zu hinterfragen ist, ob es sich dabei wirklich nur um illegale Migranten handelte, oder auch um solche, die sich nach Ansicht der „Kämpfer“ illegitim in der Ukraine aufhielten. Man fühlte sich bei all dem sogar so sicher, dass man sich überhaupt nicht mehr scheute, die damit ggf. in Verbindung stehenden Rechtsbrüche offen einzugestehen bzw. sogar als Heldentaten anzupreisen, denn man hatte viel Zulauf. „Ich kann sagen, dass wir in Charkiw trotz der Repression und des Verrats eine ganze Generation von Patrioten herangezogen haben“, schloss der „Führer“ rückblickend, „Die Samen, die wir damals gesät haben, sind nicht nur aufgeblüht, sondern trugen auch Früchte.“17
18 Tatsächlich war es offensichtlich viel schlimmer, und Biletzkij behält allen anderslautenden Behauptungen zum trotz Recht mit seiner Aussage über Saat und Früchte. „Trotz deutlicher Unterschiede in der politischen, sozialen und kulturellen Situation erinnert das Tempo, in dem sich die neonazistische Ideologie in der heutigen Ukraine ausbreitet, stark an ähnliche Prozesse in Russland vor 7-8 Jahren“, hieß es im schon oben erwähnten Schreiben der KhPG von 2008, die ja immerhin durch EU und USA für ihre Arbeit ausgezeichnet19 wurde. Und weiter: Speziell in der Zeit seit Februar 2022, da Präsident Vladimir Putin seine Offensive mit dem Einfluss von Rechtsextremen in der Ukraine zu rechtfertigen suchte, geben sich vor allem westliche Medien viel Mühe, diesen Einfluss zu verleugnen und kleinzureden. Schon nach dem Putsch 2014 wurde es „russischer Propaganda“ zugeschoben, die Macht der extremen Rechten in der Ukraine überzubewerten. „In den ersten zwanzig Jahren der ukrainischen Unabhängigkeit waren rechtsextreme Gruppen unbestritten Randerscheinungen in der Gesellschaft“, schrieb ein Analyst 2018.
„Es steht zu befürchten, dass die Ukraine, wenn diese Entwicklung noch lange anhält, von den gleichen Folgen heimgesucht wird, wie die Verbreitung fremdenfeindlichen und rechtsextremen Gedankenguts unter bestimmten Gruppen junger Menschen, ein organisiertes Neonazi-Milieu, das auf Gewalt in den Großstädten abzielt, systematische Morde aus rassistischen Gründen und als Folge davon eine allgemeine Zunahme der Gewalt in der Gesellschaft und eine Schädigung des internationalen Ansehens der Ukraine.“
Biletzkij selbst, der sich nicht nur als beliebte paramilitärische Führungsfigur der rechten Szene der Ukraine etablierte, sondern auch einige „Leitartikel“ zu politischen Themen verfasste, machte 2010 unter dem Titel „Ukrainischer Sozial-Nationalismus“ folgende vielsagende Ankündigung:
„Dementsprechend muss die Behandlung unseres nationalen Organismus mit der Rassenreinigung der Nation beginnen. Und dann wird ein gesunder Nationalgeist in einem gesunden Rassenkörper wiedergeboren, und mit ihm Kultur, Sprache und alles andere. […] Die Ukrainer sind ein Teil (und einer der größten und hochwertigsten) der europäischen weißen Rasse. Rassen-Creator einer großen Zivilisation, der höchsten menschlichen Errungenschaften. Die historische Mission unserer Nation in diesem entscheidenden Jahrhundert besteht darin, die weißen Nationen der Welt in den letzten Kreuzzug um ihre Existenz zu führen. Einen Kreuzzug gegen semitisch geführte Un[ter]menschlichkeit.“20,21
Der Artikel wurde zwischenzeitlich selbstverständlich gelöscht.22 Er schließt mit dem heute in der Ukraine üblichen Gruß „Heil der Ukraine“ 23, den Biletzkij bei seinen Ansprachen in der Regel in Kombination mit etwas erbietet, was an Adolf Hitlers persönlichen, etwas deformierten „Deutschen Gruß“ erinnert.24 Der insofern eindeutige ideologische Standpunkt, den die „Patrioten der Ukraine“ vertraten, wurde zu dieser Zeit von den ukrainischen Behörden immer nachdrücklicher ins Visier genommen. Zunächst verschwanden wichtige Führungskräfte für die Region Kiew, dann kam Ende Dezember 2011 auch Biletzkij in Haft. Damit herrschte endgültig ein de facto Kriegszustand zwischen der ukrainischen Regierung und der sozial-nationalistischen Bewegung des Landes.
Euromaidan
Um das dafür nötige Kräftemessen mit den von den Rechtsextremen bevorzugten Mitteln auszutragen, bot sich der Euromaidan an, der sich ab dem 21. November 2013 entwickelte. Zum Ablauf de Maidans sei Thomas Röpers Buch „Ukraine-Krise 2014“25 empfohlen, weil eine Schilderung in epischer Breite jeden Rahmen eines Artikels sprengen würde. Biletzkij erfuhr von den prowestlichen Protesten aus dem Fernseher in seiner Zelle im Gefängnis von Cholodnogirskij (Stadtteil Charkiws) und packte die Gelegenheit beim Schopf.
„Per Telefon koordinierte er die Aktionen der Verbündeten in Kiew, insbesondere den versuchten Angriff auf die AP am 1. Dezember. Ein paar Wochen später wurde Biletzkij dieser Möglichkeit beraubt, er wurde ständig von einer Zelle in die andere verlegt, in Einzelhaft gesteckt und sogar unter Verstoß gegen das Gesetz in eine Strafkolonie verlegt. Dort erhielt er Nachrichten [seiner Mitstreiter – Anm. d. Verf.] auf winzigen Papierbögen, die in Zigaretten eingewickelt waren.“26
In alternativen Medien kann man seither mitunter die Behauptung finden, die extreme Rechte hätte mit dem Euromaidan kooperiert. Das ist allerdings ausgemachter Unsinn, denn es gibt keinen ernstzunehmenden Grund für Nationalisten, sich mit einer Protestbewegung gemein zu machen, die eine Anbindung an ausländische Mächte fordert. Die Radikalen waren vielmehr auf dem Maidan vertreten, um ihn sich zunutze zu machen, und weil sie gute Chancen hatten, dort mit der Forderung nach der Beseitigung des prorussischen Regierungschefs Janukowitsch Anschluss an gemäßigtere Kreise zu finden. An besagtem 01. Dezember 2013 gingen die Maidan-Demonstranten beispielsweise zunächst von einer Agent-Provocateur-Aktion der Behörden aus, als eine etwa 200-köpfige Bande Vermummter aus dem Nichts auftauchte und mit „Fackeln, Rauchbomben, Molotowcocktails und Steinen“27 eine Polizeieinheit attackierte. Letztere verhielt sich zunächst passiv. Als einige Anwesende versuchten, die Radikalen ihrerseits zur Ruhe zu rufen, wurde das mit Faustschlägen beantwortet.
„Schließlich griff die gewalttätige Menge erneut die Polizei an. Diesmal war die Polizei durch die Berkut-Spezialeinheiten ersetzt worden, die die Menge auseinander trieben und dutzende Menschen heftig verprügelten, darunter 40 ukrainische und ausländische Journalisten. Ob schuldig oder unschuldig, jeder, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, wurde zusammengeschlagen.“28
Die mit Wolfsangeln beflaggte Terrorzelle trug außer Gewalt so gut wie nichts zum Euromaidan bei. Um die diversen rechten Gruppierungen, die nach und nach auf dem Maidan einschneiten, besser koordinieren zu können, gründete man den sog. „Rechten Sektor“ , dessen Führung der schon von Trysub bekannte Dimitro Jarosch übernahm, und Biletzkij trat etwas in den Hintergrund.29 Seine sozial-nationalistischen Kämpfer wurden unter Jarosch Teil der Maidan-Selbstverteidigung, jener Organisation, die mit Schlag-, mitunter auch Schusswaffen und Schutzschilden die Barrikaden bewachten, die während der Proteste in Kiew gegen die Behörden aufgeschichtet wurden. Während man am 27. Januar 2014 in Deutschland den 69. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung mit Gedenkveranstaltungen im Bundestag zelebrierte30, schafften es die deutschen Medien mehr oder minder kollektiv, die sich anbahnende sozial-nationalistische Machtübernahme in Kiew zu ignorieren, wenn nicht gar zu leugnen. Mit dem 17. Februar war es dann soweit.
An diesem Tag befahl der Rechte Sektor seinen Anhängern auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz Kampfbereitschaft für etwas, das man „friedlicher Angriff“ taufte. Am nächsten Morgen gingen die Kämpfer zum Sturm über. Die Behörden hatten größte Mühe, die erschreckend gut bewaffneten Radikalen davon abzuhalten, das gesamten Regierungsviertel samt Parlament einzunehmen, und bis zum Abend gingen der Polizei zwei Panzerwagen durch den Beschuss mit Molotowcocktails verloren. Insgesamt 25 Tote waren zu beklagen.31 Und das war erst der Auftakt zum „Blutigen Februar“, den im wesentlichen der Rechte Sektor zu verantworten hatte. „Es ist klar, dass es die radikalen Gruppen waren, die den Druck auf Viktor Janukowitsch aufrecht erhielten, und viele von ihnen finden, dass das wirklich ihr Sieg ist“, erklärte der BBC-Journalist Gabriel Gatehouse im Nachgang.32 Nachdem der 19. Februar einigermaßen ruhig gewesen war, „siegte“ der Rechte Sektor am 20. Februar weiter.
Wieder begann der Morgen mit einer Attacke vonseiten der „Opposition“, die jedoch an diesem Tag in einem höchst ominösen Kugelhagel stecken blieb. Auf der Kiewer Institutska-Straße starben 53 Personen durch Beschuss, den man zunächst der Berkut-Terrorbekämpfungseinheit zuschrieb33, die an diesem Tag auf Weisung des Innenministeriums hin die Erlaubnis hatte, Schusswaffen einzusetzen.34 Allerdings gab das Innenministerium an, dass es sich bei diesem Schritt um eine Reaktion auf Schusswaffengebrauch durch die Protestler handele (den es tatsächlich zuerst gab35 ), und die Opfer kamen auch durch Beschuss von hinten zu Tode, vom Hotel Ukraina, das fest in der Hand der Maidan-Selbstverteidigung war.36 Was auch immer also an diesem Tag auf den Straßen von Kiew passierte – und bis heute nicht aufgeklärt wurde – scheint wiederum ursächlich vom Rechten Sektor auszugehen. Vieles an den Darstellungen des Generalstaatsanwaltes der Übergangsregierung, Oleg Machnizki, der als Mitglied in der rechtsextremen Partei „Swoboda“ mit Jarosch bekannt war, von Trysub unterstützt wurde und damit sicher nicht unparteiisch war37 , passt nicht. Weder die Behauptung, dass eine professionelle Anti-Terror-Einheit mit Pump-Guns, also Nahdistanzwaffen, von Dächern auf Demonstranten geschossen haben soll, noch die Unterstellung, dass sie dabei auch auf die eigenen Leute gezielt habe, denn es kamen auch Polizisten zu Schaden, genauso wie Notfallsanitäter38, was ebenso wenig im Sinn der Behörden gewesen sein konnte. „Und da Waffen bei der Ausgabe an Polizisten registriert werden, wäre auch der Schütze problemlos feststellbar“, so Röper, „Die Staatsanwaltschaft hat jedoch hierzu bis heute nichts veröffentlicht.“39 Stattdessen erklärte man, die verantwortlichen Polizisten mittels Gesichtserkennung ausfindig gemacht zu haben.
Sinnstiftend wird es eher, wenn man die Verantwortlichen beim Rechten Sektor sucht. Der hatte im Hotel Ukraina massig Waffen zur Verfügung40, offensichtlich sogar des fraglichen Pumpgun-Typs Fort-50041, an einer solchen Eskalation ein tatsächliches Interesse und vor allem ist es deutlich wahrscheinlicher, dass nationalistische Kämpfer auf die Dächer anderer Häuser kamen und von dort „aus Richtung der Polizei“ schossen, als dass Polizisten sich an der Maidan-Selbstverteidigung vorbei in deren Hauptquartier hätten positionieren können. Und man hatte offensichtlich auch hinreichend Kontakt zu der Übergangsregierung, um im Nachgang dafür sorgen zu können, dass die Bäume an der Institutska-Straße mit den markanten Schusskanälen aus Richtung Hotel Ukraina allesamt gefällt wurden.42 Eine dringend notwendige Aufarbeitung der Schüsse vom 20. Februar 2014 ist so, mittlerweile, schon kaum mehr möglich, zumal ein Urteil seit dem Erlass der einseitigen Amnestie für Maidan-Protestler ohnehin nicht mehr zustande kommen kann.43
Das berühmt gewordene „Fuck the EU!“-Telefonat zwischen der stellvertretenden Außenministerin der USA und dem US-Botschafter in der Ukraine44 hat dafür gesorgt, dass die Nationalisten und vor allem der Rechte Sektor ausschließlich als nützliche Idioten für einen US-geführten Regime Change wahrgenommen werden. Das soll hier nicht der Blickwinkel sein, selbst wenn es eventuell hinter den Kulissen eine Beeinflussung von Jarosch45 und seinen Kameraden gab. Es sei nur gesagt, dass 2017 durch eine Dokumentation im italienischen Fernsehen bekannt wurde, dass offenbar georgische Scharfschützen angeheuert worden waren, um den eskalierenden Schusswechsel zu starten.46 Diese seien, wie sich seither ergab, offensichtlich von Sergej Paschinsky in das Hotel Ukraina geleitet und zum Waffengebrauch aufgefordert worden.47 Paschinsky war zu diesem Zeitpunkt Mitglied der Partei „Vaterland“, deren Vorsitzende Julia Timoschenko vom Westen offen unterstützt wurde. „Die Reihenfolge der Aktion wurde wie folgt festgelegt: Die von Paschinsky angeführte Gruppe geht zum Konservatorium. Sie sollten als erste von dem Gebäude aus das Feuer eröffnen, und nach drei bis vier Minuten sollten die Gruppen im Hotel Ukraine einsteigen“, erklärte einer der Beteiligten im Nachgang in einem Interview, „Nachts, gegen vier oder fünf Uhr morgens, hörte ich Schüsse […]. Paschinsky sprang auf, schnappte sich sein Funkgerät und rief, er solle aufhören zu schießen und dass es noch nicht an der Zeit sei. Die Schießerei wurde sofort eingestellt. Gegen 7:30 Uhr (vielleicht auch später) befahl Paschinsky allen, sich bereit zu machen und das Feuer zu eröffnen.“48 Zu der Frage, ob, wie und mit wessen Hilfe die USA oder sonst welche westlichen Mächte hier ihre geopolitischen Interessen vertraten, gibt es andere Ausarbeitungen. Dass es offensichtlich militärische Kooperationen mit dem Ausland gab, ist klar.49 Gerade die Verbindung zu Georgien aber ist interessant, da georgische Militärs später auch die Ausbildung von Asow und anderen rechtsextremen Freiwilligeneinheiten durchführten.
Machtergreifung
Nach diesem Tag war eindeutig, dass sich Janukowitsch nicht mehr würde halten können. Am Abend rief das Parlament die Polizei- und Spezialeinheiten unter Widerruf der Waffenfreigabe in die Kasernen zurück50, und der deutsche, der französische und der polnische Außenminister trafen in Kiew zu Verhandlungen ein. Diese gestalteten sich schon relativ chaotisch, weil die Opposition ständig Nachbesserungen verlangte, aber am 21. Februar wurde unterzeichnet – auch von einem Vertreter der Swoboda – dass Behörden und Opposition auf Gewalt verzichten sollten und illegale Waffen innerhalb von 24 Stunden (straffrei) abzugeben seien.51 Jarosch kochte vor Wut. Auf dem Maidan peitschte er die Menge auf, forderte der Rechte Sektor nicht die ausgehandelten, zeitnahen Neuwahlen, sondern einen sofortigen Rücktritt Janukowitschs. Massen riefen „Tod dem Verbrecher!“, und an eine Abgabe irgendwelcher Waffen war nicht mehr zu denken.
„Gleichzeitig wappneten sich radikale Regierungsgegner für mögliche neue Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften. In einem improvisierten Lager hielten sie Hunderte Glasflaschen und Benzinfüllungen für Molotow-Cocktails bereit.“52
Für eine „friedliche Revolution“, wie der Euromaidan bis heute gerne genannt wird, wäre nach dem beschriebenen Abkommen kein weiteres Vorgehen mehr notwendig gewesen. Neuwahlen waren darin bis Ende des Jahres vorgesehen, eine Verfassungsänderung auch, und Janukowitsch war als Präsident erledigt. Am Folgetag, dem 22. Februar, wiederholte Jarosch seine Forderung. Als ihm bis zum Abend nicht entsprochen wurde, stürmte der Rechte Sektor das (ja nun ungesicherte) Regierungsviertel. Damit war die „Machtergreifung“ faktisch abgeschlossen. Der Zugang zu Parlament und Regierungssitz wurden von bewaffneten Kämpfern kontrolliert, es häuften sich Berichte, dass Rechtsextreme unliebsamen Parlamentsmitglieder bedrohten, zusammenschlugen und ihre Stimmkarten einkassierten, um selbst damit abzustimmen. Hernach erfolgte die verfassungswidrige Absetzung Janukowitschs in Abwesenheit (da dieser aus naheliegenden Gründen geflohen war) und die Installation einer Übergangsregierung.53 Genauso verabschiedete das Parlament eine Resolution, die den inhaftierten Mitgliedern von Patriot der Ukraine den Status „politischer Gefangener“ verlieh, und ließ sie allesamt frei.54 Andrij Biletzkij war am 25. Februar 2014 nach 28 Monaten wieder ein freier Mann.
Die Ukraine erlebte ab diesem Moment keinen Tag Frieden mehr. Für Kiew eröffnete sich ein Zeitfenster relativer Ruhe, während die Stimmung im Osten und Südosten des Landes langsam hochkochte, weil man dort erstens nicht bereit war, den Putsch gegen Janukowitsch einfach hinzunehmen, und die dort lebenden ethnischen Minderheiten sich zweitens durch die zunehmende Macht der Nationalisten auch persönlich bedroht fühlten. Die Krim hatte das „Glück“, die Ukraine mit dieser Motivation am 18. März via Referendum, Sezession und Beitritt zur Russischen Föderation in die behütenden Arme einer Schutzmacht verlassen zu können, und es ist die Inkarnation des Blödsinns, diesen Schritt als „Annexion“ durch Russland zu bezeichnen. Die Eingliederung der Halbinsel war sicher keine „räuberischen, gewaltsamen Landnahme gegen den Willen der Bevölkerung.“55 Und gerade die Bundesregierung, die es nicht zustande brachte, gegen die Verletzung des auch von Außenminister Steinmeier mitverhandelten Abkommens vom Februar so zu protestieren, wie es notwendig gewesen wäre, sollte sich in diesem Zusammenhang mit allen Vorwürfen gegen Präsident Putin vornehm zurückhalten. Hätte man im Angesicht von „Sozial-Nationalisten“, Wolfsangeln und Bandera-Verherrlichung einmal einen ähnlichen Aufstand geprobt wie gegen die zurecht verhasste extreme Rechte im eigenen Land, anstatt mit dieser Übergangsregierung noch zu kooperieren56, wäre vielleicht einiges vermieden worden.
Parallelen
In Charkiw, der „Garnisionsstadt“ von Patriot der Ukraine, kam der „Anti-Maidan“, der eher prorussische Protest gegen den Ausgang des Euromaidans, schon etwas früher an als in den heute dafür bekannten Städten Donezk und Lugansk.57 Biletzkij hatte allen Grund, seine Familie nach seiner Haftentlassung sofort aus der Stadt zu evakuieren. Schon am 26. Februar wehte auf dem Gebäude der Stadtverwaltung die russische Trikolore. Drei Tage später stürmten pro-russische Aktivisten auch das Gouverneursgebäude, in der eine nationalistische „Selbstverteidigungseinheit“, zusammengesetzt aus der regionalen Fußball-Ultra-Gruppe „Sektion 82“58, schon Anfang des Monats Stellung bezogen hatte. Es gab 97 Verletzte, und die Polizei schritt nicht ein, als die erboste Menge unter „Faschisten!“-Sprechchören auf die Nationalisten einschlug.59 Demgegenüber kam es angeblich schon am 8. März zu einer Attacke des Rechten Sektors auf eine Anti-Maidan-Demonstration.60 Sicher ist, dass Patriot der Ukraine am März eine Konfrontation mit pro-russischen Aktivisten suchte, die dramatisch eskalierte61 und damit endete, dass die Sozial-Nationalisten zwei ihrer Gegner erschossen.62
Dass der Versuch, auch in Charkiw eine pro-russische „Volksrepublik“ auszurufen, letztlich scheiterte, hatte mit den Aktionen der Nationalisten, die ausschließlich – und, so erscheint es, relativ planlos – Öl ins Feuer gossen, offensichtlich nichts zu tun. Die möglichen Gründe reichen von mangelndem Rückhalt in der Bevölkerung63 bis zu ominösen „Autoritäten“ in der Charkiwer Unterwelt, die dafür gesorgt haben sollen, dass dem „Anti-Maidan“ das Geld ausging.64 Allerdings qualifizierten sich die Rechtsextremen mit ihrem Verhalten für die Mitwirkung an einem neuen Projekt, dass am 13. März ins Leben gerufen wurde.65 Die neu aufzustellende „Nationalgarde“ war im Gegensatz zu den regulären Streitkräften nicht dem Verteidigungs-, sondern dem Innenministerium unter Arsen Awakow unterstellt und von vorn herein auf eine (militärische) Verwendung für Säuberungs- und Sicherungsaktionen im Inneren ausgerichtet, und die Strukturen der neuen Nationalgarde „soll[t]en auch als Auffangbecken für Aktivisten der Proteste auf dem Maidan in Kiew dienen“, so die WELT in einem Beitrag.66
67 zur näheren Betrachtung ans Herz gelegt. Als finale Truppenstärke wurden für die Nationalgarde etwa 60.000 Mann anvisiert. Da die Volksrepubliken erst Wochen später entstanden und selbst die Sezession der Krim zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war, war die von russischen Medien als „Nationalistengarde“ verunglimpfte Kommandobehörde ganz sicher nicht Reaktion, sondern Aktion. Wem bis hierhin die Parallelen zur Machtergreifung der NSDAP im Deutschen Reich noch nicht deutlich genug erschienen, dem sei die Verwendung der Strurmabteilung (SA) als Hilfspolizei 1933
Biletzkij wandte sich mit dem Vorschlag, eine Einheit aus Mitgliedern von Patriot der Ukraine für das Innenministerium aufzustellen, irgendwann im Laufe des Aprils an die Behörden. In Charkiw hatte man eine gute Personalbasis . Zur großen Enttäuschung des Nationalistenführers wieherte aber zunächst der Amtsschimmel, und obwohl Biletzkij Freiwillige in Scharen anzubieten hatte, dauerte es bis Ende April, das Innenministerium auch in seinem Fall zum arbeiten zu bewegen.68
Die Stimmung im Land kippte, als in Donezk am 6. April eine separatistische „Volksrepublik“ ausgerufen wurde, und die Übergangsregierung, die mit gutem Grund die Abwanderung von immer mehr Territorium fürchtete, eröffnete am 7. April eine „Anti-Terror-Operation“ gegen die eigene Bevölkerung im Donbass, wofür man „Demonstranten“ kurzerhand terminologisch in „Terroristen“ umtaufte und das Militär mit der Niederschlagung des „Anti-Maidans“ beauftragte. Die Zeit zeigte, dass die Motivation der regulären bewaffneten Behörden, das eigene Volk niederzumetzeln, wie man sich das in Kiew vorstellte, weitgehend nicht vorhanden war, und immer mehr Militär einfach überlief.69 Aus dieser Zeit stammt ein höchstwahrscheinlich authentisches Video, das zwei Angehörige des Rechten Sektors bei der Erhängung eines Polizeibeamten zeigt, der sich offenbar weigerte, gegen die pro-russischen Aktivisten vorzugehen. Der Delinquent trägt ein Schild mit der Aufschrift „Moskauer an einem Ast!“ um den Hals, das nur zu lesen ist, weil die Vermummten links und rechts neben ihm den zuckenden Körper immer wieder ins rechte Licht drehen. „Dies wird mit jedem Verräter des Mutterlandes geschehen,“, erläutert ein Schriftblock im Anschluss zu den Klängen martialischer Gesänge, „der die Uniform eines Polizeibeamten anzieht und der damit verbundenen Verantwortung nicht entspricht oder im Kampf gegen Kriminelle, die versuchen, unsere Staatlichkeit in den Regionen Lugansk und Donezk zu zerstören, untätig ist!“ Die Verhältnisse zeigten sich mehr als eindeutig. Und allen, die sich mit der Behauptung aus der Affäre ziehen wollen, solches Material fände man höchstens in der hintersten Ecke des Darknets, sei gesagt, dass dieses Video ab dem 27. April 2014 auf YouTube zu finden war und dort erst irgendwann Mitte 2020 wegen „Gewaltdarstellung“ gesperrt wurde.70
71, wie man dutzende Anti-Maidan-Demonstranten in ein Gewerkschaftshaus trieb und sie darin bei lebendigem Leibe verbrannte, wie man die verzweifelt aus dem Fenster stürzenden Opfer draußen mit Holzlatten empfing und zerprügelte, als man Jugendliche, halbe Kinder noch, zu Boden rang und ihnen ins Gesicht trat72, „starb“ die Ukraine für viele Russen. Am 2. Mai 2014 waren es wiederum Rechtsradikale aus Charkiw, die den sich anbahnenden Bürgerkrieg noch ein bisschen mehr zum Bürgerkrieg werden ließen. Angehörige von Sektion 82 reisten mit dem Zug nach Odessa, um dort am Abend an dem berüchtigten Massaker mitzuwirken, das 48 zivile, pro-russische Menschenleben forderte. An diesem Tag, an dem live gestreamt wurde
73 Kurz darauf entwaffnete der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU die „illoyalen“ Beamten in Charkiw und ersetzte sie durch eine neue „Streifenpolizei“74, die wiederum aus eher rechten Kräften bestand. Die seither herrschende Verbindung aus diesen schlecht ausgebildeten, politisch „loyalen“ Milizen und einem mächtigen Geheimdienst, der alle seine Taten mit der Bedrohung durch den Bürgerkrieg und Terrorismus rechtfertigen kann, hat zu einer massiven Verschlechterung der Menschenrechtslage geführt. „Dazu gehören das Verschwindenlassen von Personen, Folter, Misshandlung und willkürliche Verhaftungen“75 – eine Tendenz, die sich seit dem Putsch auch in anderen ukrainischen Städten beobachten lässt, aber in Charkiw besonders ausgeprägt zu sein scheint. Auch dieser Wandel weg von der Rechtsstaatlichkeit hin zu etwas, das sich leicht mit einer Kultur von GeStaPo und SD in Verbindung bringen lässt, hätte Anlass für kritische Interventionen aus Berlin sein können, aber solche Interventionen blieben aus. Vermutlich war es die Charkiwer Polizei, die den Nationalisten in begründeter Fortführung alter Feindschaft hier noch einmal in die Parade fuhr und dafür sorgte, dass die Passagierdatenbanken der Züge zwischen Odessa und Charkiw von diesem Tag in russischen Sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden, was Todesdrohungen gegen die so enttarnten Täter zur Folge hatte.
Misanthropie
Um vom Thema nicht allzu weit abzukommen, verweise ich zur Geschichte des Krieges im Donbass (zumindest zur frühen Phase 2014/2015) erneut auf Thomas Röpers Buch „Ukraine-Krise 2014“, aber auch auf Mark Bartalmais Film „Ukrainian Agony“ und Maria Janssens Reisebericht „Eine Fahrt in den Donbass“. Die Vorgänge in der Ukraine verloren Anfang Mai jegliche Bodenhaftung. Unter dem Eindruck des Kontrollverlustes, dem die Kiewer Führung sich ausgesetzt sah, bekam Andrij Biletzkij schließlich die Erlaubnis, seine Einheit aufzustellen. Als „Außerordentliches Polizei-Bataillon“ erhielt sie am 5.
76 Von Patriot der Ukraine kam „Idee der Nation“, die schwarze Wolfsangel, die das Wappen des Bataillons mittig zierte. Diesmal gesellte sich aber noch eine (ironischerweise in weiß gehaltene) „schwarze Sonne“ dazu, jenes Symbol, das Reichsführer-SS Heinrich Himmler im Boden des „Obergruppenführersaals“ auf der Wewelsburg verewigen ließ. Dass die Eingliederung einer Truppe, die sich mit Symbolik in offensichtlicher SS-Tradition schmückte, in die staatlichen bewaffneten Dienste der Ukraine nicht einmal von deutscher Seite mit massivsten diplomatischen Konsequenzen beantwortet wurde, ließ jegliche erinnerungspolitischen Ansprüche Deutschlands mit einem kläglichen Wimmern verrecken. Biletzkij, urplötzlich mit der Problematik konfrontiert, den Medien ein irgendwie vertretbares Bild seiner Einheit liefern zu müssen, „entschärfte seine Rhetorik“77 und bemühte die schon bekannte Erzählung von der Unverdächtigkeit hochverdächtiger Symbole: Mai 2014 in der Küstenstadt Berdiansk am Asowschen Meer ihren berüchtigten Namen: „Asow“.
„Für uns ist die ‚Idee der Nation‘ ausschließlich ein ukrainisches, kosakisches Symbol, und wir sollten uns nicht von der Phantasie derer beeindrucken lassen, die darin andere, mysteriöse Bedeutungen finden wollen. Ich verstehe die historischen Komplexe der Europäer in Bezug auf den Nationalsozialismus und alle Symbole, die ihm auch nur im Entferntesten ähnlich sind. Aber in den 90er Jahren, als die ‚Idee der Nation‘ geformt wurde, haben wir ihr nicht die Bedeutung der Nazis beigemessen. Wir sahen es als ein Symbol des Befreiungskrieges […].“78
79, offensichtlich ohne eigene Verluste.80 Am 6. Juli erlangte das Bataillon schon die Kontrolle über die gesamte Küste des Asowschen Meeres, und am 4. August gelang die Rückeroberung der Stadt Marinka in Zusammenarbeit mit anderen ukrainischen Einheiten. Sechs Tage später erfolgte ein weiteres Vorgehen gegen Ilovaisk, wo das Bataillon Asow zusammen mit den Einheiten „Donbass“ und Dnipro-1 noch am 18. August kämpfte. Von den rund 140 „Freiwilligeneinheiten“, die sich bis 2016 in allen Teilen der ukrainischen Behörden breit machten 81, war Asow zweifelsohne die erfolgreichste, denn die Fortschritte der „kleinen, schwarzen Männer“, wie man die Asow-Kämpfer in Anlehnung an die „kleinen, grünen Männer“ der russischen Streitkräfte nannte, welche im März 2014 auf der Krim erschienen waren, gelangen trotz miserabelster Ausrüstung, die im wesentlichen aus privaten Spenden zusammenkam.82 Zum Lohn übernahm das Innenministerium Asow am 17. September von der Streifenpolizei in die Nationalgarde83 und stockte das Bataillon unter anderem durch Zuführung der Sektion 82 zum Regiment auf.84 Die „Sektion“ war mit ihrer Odessa-Vergangenheit nicht die einzige problematische Gruppe, die sich im vergrößerten Asow einfand. Neu dazu kam auch die sogenannte „Misanthropic Division“ (MD), welche jegliche beschwichtigenden Behauptungen der Einheitsführung, es gäbe kein Problem mit nationalsozialistischen Tendenzen, auf einen Schlag ad absurdum führte. Man sieht sich bei den „Menschenfeinden“ als „nationalsozialistische Bruderschaft“, nicht als „Terrororganisation“, sondern als „politische Soldaten“: Die deutschen Medien, die schon bei Odessa beängstigend tonlos unterwegs waren, spielten das Spiel auch diesmal mit. Ein Beitrag von Katrin Eigendorf in der ZDF-Sendung „heute nacht“ vom September stellte Mitglieder von Asow bei Mariupol ohne irgendeine Frage nach der omnipräsenten SS-Symbolik als „Milizen“ vor und erklärt, es seien „vor allem Bataillone von Freiwilligen, die warten und entschlossen sind, ihre Stadt zu verteidigen.“ Währenddessen musste jedem halbwegs wachen Geist schnell klar sein, weshalb die Übergangsregierung auf ihre „Freiwilligen“ bei Asow angewiesen war. Am 13. Juni eroberte Asow nach mehrwöchiger Ausbildung unter Biletzkijs Führung die Hafenstadt Mariupol von Separatisten zurück
„Die Misanthropic Division setzt sich aus Menschen zusammen, die diese widerwärtige moderne Welt ablehnen. Unsere Misanthropie ist ein Schrei des Hasses gegen menschliche Schwäche und alles, was sich den traditionellen, auf den Gesetzen der Natur beruhenden Werten widersetzt. Das Hauptziel des Nationalsozialismus ist der Übermensch, der von Schwäche, Mängeln und Hässlichkeit befreit ist.“85
Die „Bruderschaft“, die ein Netzwerk in Großbritannien, der Schweiz, Deutschland und Portugal, aber auch in den USA und in Brasilien unterhält, sieht ihre zentrale Aufgabe in der Unterstützung von Asow und dem aus dem Rechten Sektor hervorgegangenen „Ukrainischen Freiwilligenkorps“ bei ihrem Kampf im Donbass, „ohne zu vergessen, dass sie für unsere Sache kämpfen und sie vertreten.“ Die Flagge der MD zeigt SS-Totenschädel86 und Kalaschnikow-Maschinenkarabiner, dazu den stets in deutscher Sprache gehaltenen Slogan „Töten für Wotan“.87 Das dazugehörige Uniformabzeichen, das mindestens bei den Gefechten in Svetlodarsk 2019 unzweifelhaft getragen wurde, zeigt die Automatikwaffe vor dem Hintergrund einer schwarzen Sonne, dazu die Worte „Rausch der Misanthropie“.88
89, konnte man jahrelang den ideologischen Kult der MD bewundern: Neben mit Logos der „Bruderschaft“ aufgebrezelten Fotos der verkohlten Leichen, die von den Demonstranten in Odessa an jenem zweiten Mai übrig blieben, gab es Verkaufsangebote von Uniformabzeichen mit den Initialwappen der „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ und Fotos von MD-Mitgliedern, die stolz ein Wappen der SS-Sturmbrigade „Dirlewanger“ hochhalten. Dieser Verband, der mit persönlicher Fürsprache Heinrich Himmlers 1940 aus verurteilten Straftätern zur Rehabilitierung aufgestellt und dem Kommando eines Dr. Oskar Dirlewanger überlassen wurde, rief sogar bei der SS Richter auf den Plan, weil Dirlewanger seine Untergebenen im Suff anlasslos zu erschießen pflegte.90 Die vollkommen chaotischen Einsätze der schlecht ausgebildeten Einheit arteten, sofern sie überhaupt zu irgendetwas anderem als eigenen Verlusten führten, regelmäßig in Verbrechen reinster Natur aus, wie beispielsweise während der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944: In einem Telegramkanal, den Telegram wegen absolut grenzüberschreitender Lobpreisung von Rassenhass und tödlicher Gewalt im Frühsommer 2020 suspendierte und löschte
„Als das Kernkommando Dirlewangers in Warschau die Novy Swiat hinabstürmte, einen schreienden, schießenden, sich verheddernden Menschenhaufen […] vor sich hertreibend, musste der ostpreußische Dirnenmörder Petrat von einer ‚Dirlewanger-Charge‘ mit dem Gewehrkolben erschlagen werden, weil der Kerl im Blutrausch seinem verwundeten Nebenmann, über den er beim Stürmen gestolpert war, mit den Zähnen das Fleisch aus der klaffenden Beinwunde herauszuzerren begann. Ein Sachse wurde […] durch Genickschuss erledigt, weil er in einem Hauseingang eine Jüdin vergewaltigt und hernach erdrosselt hatte. Hätte er zuvor die Leinenbinde mit dem blauen Davidstern vom Arm seines Opfers gerissen, kein Mensch hätte ihm seinen Lustmord verübelt. Er war ja Dirlewanger-Mann. Aber dies da war Rassenschande.“91
92 der Dirlewanger-Einheit belegen.93 „Außerdem machen die zahlreichen Hakenkreuz-Tätowierungen verschiedener Mitglieder und ihre Tendenz, mit Hakenkreuzen oder SS-Abzeichen auf ihren Helmen in den Kampf zu ziehen, es für andere Mitglieder der Gruppe sehr schwierig, jegliche Neonazi-Zugehörigkeit glaubhaft abzustreiten“, heißt es in einem US-Artikel von 2015.94 So verwundert auch ein Bericht der Vereinten Nationen vom Mai 2016 nicht, der nachwies, dass Asow-Angehörige einen Zivilisten in Mariupol wegen angeblicher Unterstützung der Volksrepublik Donezk verhafteten und ihn mit Stromstößen, Gasmasken, Waterboarding und Schlägen in die Genitalien folterten, bis er gestand. Dieses Verhalten ist für einige Angehörige des Regiments Asow offenbar vorbildhaft, wie auch ein Foto des Asow-Kämpfers Stanislaw Gontscharow mit tätowiertem Wappen
„Andere dokumentierte Fälle scheinen mit der Militärpräsenz in dicht besiedelten zivilen Gebieten, z. B. in Städten in der Nähe der Kontaktlinie, und der allgemeinen Straffreiheit zusammenzuhängen. Im August oder September 2014 wurde ein geistig behinderter Mann von acht bis zehn Angehörigen der ‚Asow‘- und ‚Donbass‘-Bataillone grausam misshandelt, vergewaltigt und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt. Der Gesundheitszustand des Opfers verschlechterte sich daraufhin und er wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen.“95
Fremdvölkerverbände
Eine andere Sache, die man von der Waffen-SS übernahm, war die Aufnahme sogenannter „Fremdenlegionäre“. Schon 2014 berichtete das BBC über einen Schweden, Mikael Skillt, der sarkastisch von einem einzelnen Linken in der Einheit sprach, von dem er nicht wisse, „wie der hierher geraten ist.“96 Über mindestens einen Deutschen gibt es einen Beitrag des ZDF. 97 Eine Kooperation bildete sich auch mit weißrussischen Nationalisten, derer einige Dutzend im Rahmen der Einheit „Pagonia“ Asow unterstellt wurden.98 Diese Verbindungen verwundern kaum, wo doch die Oppositionsbewegung, die im Jahr 2020 mit großen Demonstrationen gegen das „Regime Lukaschenko“ im Westen als Kämpfer für Demokratie sehr wohlwollend wahrgenommen wurde, sich die weiß-rot-weiße Flagge des „Weißruthenischer Zentralrats“ zu eigen machte, der unter Kontrolle der SS stehenden Marionettenregierung während der deutschen Besatzung 1941 bis 1944.99 Auch die Pagonia, ein Reiterbildnis, war ein (Wappen-)Symbol dieser Regierung, und wurde nun zum Wappentier der Einheit Pagonia .100 Zum berühmtesten Beispiel für diese nicht minder als alles andere verdächtige Verbindung von weißrussischen Oppositionellen mit Asow wurde der „Blogger“ Roman Protasevisch. Nachdem dieser am 23. Mai 2021 aus einem in Minsk notgelandeten Flugzeug heraus verhaftet wurde, wurden Vorwürfe laut, er habe sich im Regiment Asow an Kämpfen in der Ukraine beteiligt.101 „Er war bei uns, in der Nähe von Schirokino, wo er verwundet wurde“, erklärte Biletzkij damals, „Aber seine Waffe als Journalist war kein Maschinengewehr, sondern sein Wort.“102
Bilder, die Protasevitsch bewaffnet in Kampfanzug zeigen, wie beispielsweise auf der Titelseite (!) des Asow-Magazins „Schwarze Sonne“ vom Juli 2015103, suggerieren freilich gegenteiliges. Und während der Schlacht um Schirokino, bei der Protasevitsch offensichtlich mitwirkte, dokumentierte das OHCHR „massive Plünderungen von Zivilwohnungen und Angriffe auf zivile Gebiete“104 durch das Regiment Asow.
Die in diesem Fall noch etwas direktere Unterstützung westlicher Regierungen, Organisationen und Persönlichkeiten für (einen) Faschisten ist beängstigend. Eine Unterstützung übrigens, die auch aktiv gegen Einwände verteidigt beziehungsweise über aufkommende Beschwerden hinweg aufrecht erhalten wurde. Während Protasevitsch „nur“ gute Kontakte zum US-Außenministerium hatte105, die erst nach seiner Verhaftung durch die weißrussischen Behörden wirklich bekannt wurden, erfuhr das Regiment Asow seit 2015 direkte militärische Hilfe aus den USA. Diese schloss Ausbildung auf einem Truppenübungsplatz bei Lviv an der ukrainisch-polnischen Grenze106 ein, während es wegen der Faschismus-Vorwürfe nach den Gefechten um Schirokino für drei Jahre von der Front abgezogen wurde107, wobei dies „gelegentlich für bestimmte Kampfeinsätze“ einiger Angehöriger ausgesetzt wurde.108 Als das Regiment Anfang 2019 an die Front zurückkehrte, war aus dem ursprünglich reinen Infanterie-Verband ein sogenanntes „Sondereinsatzkommando“ 109geworden, und das Waffenarsenal hatte immens zugenommen. Hinzugekommen war vor allem eine Panzer-Kompanie mit T-64-Hauptkampfpanzern110, die 2020 nach einer Hochburg von antibolschewistischen Partisanen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg „Cholodnij Jar“ getauft wurde.111 Aber auch mehrere Mörserbatterien, ein Zug Scharfschützen, eine Hundestaffel und einige Bedienmannschaften für Drohnen sind seither Teil des Regiments.112 Die mehr als problematische Ideologie bei Asow, die 2016 zur Gründung einer politisch relativ irrelevanten Partei führte und im Rahmen besorgniserregender Sommerlager auch an Kinder vermittelt wird113, löste wiederholt Entsetzen bei US-Abgeordneten aus. 2015 starteten die Kongressabgeordneten John Conyers Jr. und Ted Yoho eine Initiative, die dem Pentagon verbieten sollte, Asow Waffen und Ausbildung zukommen zu lassen. Das US-Verteidigungsministerium setzte sich jedoch „beim Bewilligungsausschuss des Repräsentantenhauses dafür ein, den Conyers-Yoho-Antrag aus dem Verteidigungshaushalt 2016 zu streichen, da eine solche Finanzierung bereits durch ein anderes Gesetz verboten sei.“114 Da das gemeinte Gesetz dem Pentagon allerdings nur verbietet, „Gelder für die Unterstützung von Einheiten ausländischer Sicherheitskräfte zu verwenden, wenn glaubwürdige Informationen vorliegen, die diese Einheit in die Begehung grober Menschenrechtsverletzungen verwickeln“115, berief man sich darauf, dass es solche Informationen nicht gäbe, und führte die Kooperation fort. Irgendwie gelangte das Regiment so auch an US-Waffen, was 2018 zu einem diesmal bleibenden Verbot von Waffenlieferungen führte.116 Als Asow in einem YouTube-Video, das anschließend schnell wieder gelöscht wurde117, eine Lizenzfertigung des israelischen Tavor-Maschinenkarabiners118 vorstellte, regte sich auch in Israel Protest.119 2019 eröffneten 40 Abgeordnete erneut einen Offensive, dem Sonderkommando das Wasser abzugraben, und schrieben einen Brief120 an das US-Außenministerium. Darin wurde gefordert, Asow in die „Terrorliste“ (FTO) aufzunehmen, was den USA sogar die Möglichkeit eingeräumt hätte, Biletzkij und seine Männer offiziell zu bekämpfen. In der Ukraine brach eine verräterische Panik aus, der ehemalige Außenminister Pawlo Klimkin befürchtete „ein Knockout der Freiwilligenbewegung und der Ukraine“121, Asow nannte den Brief in einer Stellungnahme „nichts anderes als einen informativen Angriff auf die Ukraine, ihre Souveränität und ihre staatliche Sicherheit.“122
Was man an dieser Stelle eingestehen muss ist, dass diese Befürchtungen nicht unbegründet sind. Asow entwickelte sich von einer Gruppe lächerlich ausgerüsteter Kampfeslustiger in T-Shirts zu einer festen Größe in der nationalen Sicherheitsstruktur der Ukraine. Nach Jahren des demonstrativen Augen-Verschließens, des Schweigens, wann immer eine Stellungnahme dringend nötig gewesen wäre, und irgendwann sogar des Hochrüstens sind „westliche“ Regierungen nun an einem Punkt angekommen, an dem sie sich die stark verspätete Forderung, gegen Asow vorzugehen, reiflich überlegen müssten, weil die nicht unwesentliche Gefahr besteht, durch einen solchen Schritt die ukrainische Verteidigungsfähigkeit dem Zusammenbruch zu überlassen. „Für die ukrainische Regierung, die sich bei der Verteidigung der Stadt Mariupol und eines 100 Kilometer langen Abschnitts der Frontlinie in hohem Maße auf die Gruppe als eine ihrer effektivsten Kampftruppen verlässt, stellt dies ein weitaus größeres Problem dar“, heißt es in einem schon oben zitierten Artikel der Daily Beast. Die Social-Media-Plattform Facebook ließ aus diesem Grund am 24. Februar 2022 die Lobpreisung von Asow wieder zu, „wenn ausdrücklich und ausschließlich auf seine Rolle bei der Verteidigung der Ukraine“ gegen den russischen Vormarsch „oder ihre Rolle als Teil der Nationalgarde“123 beschränkt. Zuvor war Asow 2019 von Facebook als ähnlich problematisch wie ISIS eingestuft und mit weitreichenden Restriktionen belegt worden. Das bestätigt die Aussage eines Präsidenten Putin und unterstreicht, dass eine „Entnazifizierung“ in der Ukraine tatsächlich ein relevanter Schritt wäre.
Und es ist aus deutscher Sicht noch viel fataler als aus Sicht der US-Abgeordneten, die mit ihrem löblichen Versuch, Asow auf die FTO setzen zu lassen, letztlich scheiterten. Die Bundesregierung, die 2015 auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im deutschen Bundestag hin relativ genau zu wissen eingestand124, welche Abgründe sich um das Regiment Asow herum auftaten, tat effektiv so gut wie gar nichts, das Hochleben von Nationalsozialismus, SS-Heldenkultur und Rassenhass in der Ukraine zu unterbinden oder auch nur einzudämmen. Und das wäre nicht nur aufgrund der sonst gegen jeden Anwurf hochemotional behaupteten „Erinnerungspolitik“ vom ersten Tag an angesagt gewesen, sondern auch aus strategischen Gründen. Denn einen Andrij Biletzkij mit einer Panzer-Kompanie, Drohnen und Artillerie an vorderster Front herumturnen und gegen „semitisch geführte Untermenschen“ den „Weg des Sieges“ beschreiten zu lassen, war ganz sicher nicht im Sinne des Abkommens Minsk II, mit dessen Missachtung man die russische Regierung seit jeher (wahrheitswidrig) zu ohrfeigen versucht. Deutschland, das schon einmal „politische Soldaten“, für die Asow schaurige „Gedenkmärsche“125 veranstaltet, Millionen russische Staatsbürger abschlachten ließ, muss sich heute den Vorwurf gefallen lassen, denselben Vorgängen Hilfe durch Unterlassen, spätestens seit Anfang 2022 durch Waffenlieferungen zu gewähren. Es sollte keine Reden des russischen Präsidenten erfordern, uns daran zu erinnern, was das bedeutet.
Alexander Brandt